Schlafanzug nach Hamburg
…Und einen Kaffee mit Milch bitte. Ich klemme mir meine
Reiselektüre, das aktuelle Titanic-Magazin unter den rechten Arm, meine linke
Hand ist die Rollkofferbeauftragte. Der Auftrag der rechten Hand besteht darin,
den Becher Kaffee möglichst schwappfrei zum Gleis zu transportieren.
Ich
positioniere mich vor der Fahrstuhltür. Der Fahrstuhl ist die allerneueste Errungenschaft,
auf die der hübsche alte Bahnhof in der lebendigen Kreisstadt Itzehoe Jahrzehnte
warten musste. Es geht ein Stockwerk runter, aussteigen, auf die
gegenüberliegende Seite des Ganges wechseln, dort den abermals den Aufzug
besteigen und das Stockwerk wieder rauf.
„Tür öffnet automatisch! belehrt eine freundliche Computerstimme
und entlässt mich auf den Bahnsteig am Gleis 4, Richtung Hamburg. Kurzer Check:
Ellenbogenandruck hält Magazin, Hand balanciert Schritterschütterung zuverlässig
aus und ohne einen Tropfen Kaffee
verschüttet zu haben, beobachte ich, wie in der
Ferne der Zug auf die Zielgerade Richtung Bahnhof einbiegt und dröhnend,
ratternd und von Zischgeräuschen begleitet zum Stehen kommt.
Eine
weitere Computerstimme vermeldet die planmäßige Ankunft und Weiterfahrt des Zuges. Es ist aber nicht die Stimme aus dem Fahrstuhl, sondern
eine Computerstimmenkollegin, die ich auch schon vom Berliner Hauptbahnhof kenne. Weiterfahrt
über ELMshorn“, betont die Stimme mal wieder völlig falsch und routinemäßig amüsiere ich mich ein wenig. Die korrekte Betonung liegt natürlich auf „horn.
So, aber jetzt erstmal einsteigen und einen guten
Platz ergattern, auf den Kaffeebecher aufpassen, nicht kleckern. Nanu…? diesmal
kein Großraumabteil sondern nur Kabinen?! Na macht nichts. Ich entdecke ein komplett leeres Abteil und mache es mir auf dem Premiumplatz
am Fenster in Fahrtrichtung gemütlich, da fährt der Zug auch schon ab, ratternd,
pfeifend, Tempo aufnehmend. Meine Reisezeit beträgt nur 37 Minuten, also mache ich
mich umgehend übers Reiseproviant her, 4 leckere Duplos. Süßigkeiten dieser Kalorienklasse und
in vierfacher Ausführung sind natürlich ausschließlich auf Zugreisen erlaubt.
Die Einverleibung erfolgt systematisch, um den Genussfaktor der einzelnen
Geschmacksmomente zu erhalten. Erst werden die seitlichen Ränder vorsichtig abgeknabbert,
danach der gewölbte obere Schokodeckel und zum Schluss waffelartigen Boden pur
genossen. Diese Art und Weise des 3-Phasen-Verzehrs habe ich im Alter zwischen
ca. 5- 8 Jahren entwickelt und praktiziere sie teilweise heute noch, wenn keiner zuguckt.
Mein Blick fällt aus dem Fenster, die
Landschaft zieht in einem schnellen Bildwechseln an mir vorbei. Die Sonne blinkt durch Bäume und taucht das
kleine Abteil in ein romantisches und lebendiges Licht. Der Zug hat jetzt richtig Fahrt aufgenommen und
saust durch den warmen Sommernachmittag. Im Zeitraffer wechseln Wiesen, Bäume, Häuser…
Rehe!!.... Ein Hase! … Und noch einer!.. Und Störche!!! Meine Güte Störche und
gleich so viele, das sind mindestens 5 Stück!!! Ich zücke mein Smartphone und verfasse
einige Prahl-SMS. 5 Störche, mehrere Rehe und 2 Hasen, das ist
rekordverdächtig, das muss erstmal einer nachmachen.
Nun scheint mir die Zeit gekommen für ein wenig
ernsthafte und anspruchsvolle Lektüre, die Reisezeit ist kurz; ich blättere die
„Titanic“ auf und starte wie immer mit meiner Lieblingskolumne auf Seite 63.
Oder doch lieber erstmal etwas Entspannendes? Ich klappe die Titanic wieder zu,
alternativ habe ich auch noch die aktuelle Ausgabe der „JOY“ dabei. Aha, die
Farben des Sommers, interessant… Cocktail- Rezepte… oh ja, das klingt alles lecker und erfrischend, ein
paar Rezepte davon werde ich unbedingt probieren!
Mein Blick fällt aus dem Fenster. Ich lehne meinen
Kopf an die Scheibe und genieße die beruhigenden Geräusche und Landschaftsbilder…
Dann rumpelt es plötzlich neben mir. Leider doch
kein Abteil für mich allein. Die durchsichtige Tür wird von einer hellen Nase vorsichtig
aufgedrückt und ein Schaf schiebt sich durch die Tür ins Innere der Kabine. Das
ist nicht weiter überraschend, denn der Zug durchquert gerade ländliches Gebiet. Allerdings nimmt das Schaf jetzt fast den
kompletten Raum zwischen den Sitzplätzen ein und ich weiß nicht mehr so recht, wohin mit
meinen Füßen. Doch da macht es einen Hüpfer,
eine Art Bocksprung und landet mit den Vorderfüßen auf dem Sitz gegenüber.
Anschließend schaut es aus dem Fenster und ich tue so, als täte ich das auch. Ob
ich das Schaf ansprechen sollte…? Eine kleine Unterhaltung wäre doch vielleicht
ganz nett. Aber wie ansprechen? Mähen? Überhaupt, wie nennt sich eigentlich
Schafsprache, Blöken wahrscheinlich, mal nach sehen, was Wikipedia dazu weiß.
Also Schaf, das Hausschaf…Es könnte eine Moorschnucke sein, nach den Bildern zu
urteilen, aber wie sieht es aus mit der Sprache… Aha, da bin ich jetzt aber wirklich superschnell fündig geworden. Ein
umfangreicher Onlinesprachführer Deutsch/ Schäfisch, Schäfisch/ Deutsch steht
zur Verfügung, tolles Internet! Gleich
mal nachschlagen, was zum Beispiel: „Hallo,
und wohin geht die Reise?“ heißt.… Oh, nein, das liest sich leider völlig unaussprechbar
und wie ein anspruchsvoller Zungenbrecher, das bringe ich garantiert nicht
raus. Vielleicht erstmal nur „Hallo“….
Jo, das
glaube ich, könnte ich hinbekommen. Ich übe kurz lautlos ein, dann wage ich
mich an die Aussprache. „Ähm“, setze ich an. Das Schaf guckt weiter aus dem
Fenster und verzieht keine Miene. Ich räuspere mich auffällig. Sehr gut, das Schaf blickt jetzt
zu mir rüber, ich setzte an: Määääh!
Tja, die Antwort fällt dann doch verständlicher aus,
als ich gedacht hatte:
„Die Fahrkarte bitte…“
Text/Bilder: Anja Barbas