Sonntag, 22. September 2013

Das Kreuz

Sonntag, 8.43 Uhr




Ich betrete das Wahllokal. Für die frühe Morgenstunde hab ich mich vergleichsweise schick in Schale geworfen. Knielanges Partykleid, Stöckelschuhe, lässig lehne ich mich auf den Tresen.
Gekonnt schnippe ich die Wahlkarte Richtung Wahlhelfer, smarter Typ. Ein Blickkontakt solang wie 2 Stunden… wie in Zeitlupe wandert der Wahlzettel im Tausch zu mir zurück.
Kabine 1 ist frei... alles klar. Ich schwinge mein Petticoat im Schein der Neonbeleuchtung.
Ein letzter Blickkontakt und schon bin ich Wahlkabine verschwunden,… Kabine? eine halbierte Holzkiste, auf einen Schultisch aufgestellt.
Ein Hocker lädt zum Sitzen auf, auf dem abgewetzten Tisch vor mir: Ein Kugelschreiber, ich starre auf das Blatt. Wie viel Zeit habe ich, eine Minute oder zwei? Darf ich jetzt überhaupt noch überlegen oder ist es zu spät? Mir wird warm…
Kurz lausche ich, zwei Neuwähler haben den Raum betreten. Ich, ICH habe die Wahl aber was wähle ich…
Gestern dachte ich noch, dass... heute sehe ich das anders, aber nicht komplett anders. Kein Stimmhopping oder Wechselwahl. Stützwahl? Nein ich wähle ausschließlich eine eigenständige Partei, soweit kommts noch, Wahlhilfe... Und eins noch: Niemand leiht sich meine Stimme, daß das mal klar ist.
Welche Partei entspricht mir am meisten? Was steht da alles auf dem Zettel, nochmal durchlesen.
Unauffällig blicke ich nach links, mit Siegerlächeln wird neban das Papier gefaltet. Und ich? Das hier, das ist doch Demokratie, der Kern, darum gehts. Genau jetzt und hier und jetzt ist Freiheit, ja, ich bin frei!!!!!
Ich kreuze an und alles ist vorbei. Ein kurzer Blick zurück auf die Albernheiten des Wahlkampfes, endlich vorbei der Quatsch.
Ein Kreuz. Jesus ist am Kreuz gestorben und dafür wird heute noch bezahlt, erst das Kreuz und dann wird bezahlt...
Ich kreuze an und meine Freiheit zerrinnt in meinen Händen.
Jesus stirbt...
und gehe zur Urne.