Sonntag, 8.43 Uhr
Ich betrete das Wahllokal. Für die frühe Morgenstunde hab ich mich
vergleichsweise schick in Schale geworfen. Knielanges Partykleid,
Stöckelschuhe, lässig lehne ich mich auf den Tresen.
Gekonnt schnippe ich die
Wahlkarte Richtung Wahlhelfer, smarter Typ. Ein Blickkontakt solang wie 2 Stunden… wie in
Zeitlupe wandert der Wahlzettel im Tausch zu mir zurück.
Kabine 1 ist frei... alles klar. Ich schwinge mein Petticoat im Schein der
Neonbeleuchtung.
Ein letzter Blickkontakt und schon bin ich Wahlkabine
verschwunden,… Kabine? eine halbierte Holzkiste, auf einen Schultisch
aufgestellt.
Ein Hocker lädt zum Sitzen auf, auf dem abgewetzten Tisch vor
mir: Ein Kugelschreiber, ich starre auf das Blatt. Wie viel Zeit habe ich, eine Minute oder zwei? Darf ich jetzt
überhaupt noch überlegen oder ist es zu spät? Mir wird warm…
Kurz lausche ich,
zwei Neuwähler haben den Raum betreten. Ich, ICH habe die Wahl aber was wähle
ich…
Gestern dachte ich noch, dass... heute sehe ich das anders, aber nicht
komplett anders. Kein Stimmhopping oder Wechselwahl. Stützwahl? Nein ich wähle ausschließlich eine eigenständige Partei, soweit kommts noch, Wahlhilfe... Und eins noch:
Niemand leiht sich meine Stimme, daß das mal klar ist.
Welche Partei entspricht mir am meisten? Was steht da alles auf dem Zettel, nochmal
durchlesen.
Unauffällig blicke ich nach links, mit Siegerlächeln wird neban das Papier
gefaltet. Und ich? Das hier, das ist doch Demokratie, der Kern, darum gehts. Genau jetzt und hier und jetzt
ist Freiheit, ja, ich bin frei!!!!!
Ich kreuze an und alles ist vorbei. Ein kurzer Blick zurück auf die
Albernheiten des Wahlkampfes, endlich vorbei der Quatsch.
Ein Kreuz. Jesus ist am Kreuz gestorben und dafür wird heute noch bezahlt, erst
das Kreuz und dann wird bezahlt...
Ich kreuze an und meine Freiheit zerrinnt in meinen Händen.
Jesus stirbt...
und gehe zur Urne.
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